1999 – 2014: Der Einsatz der Bundeswehr im Kosovo

Am 13. Juni 1999 tritt für die Bundeswehr im Kosovo der Ernstfall ein: Erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs schießt ein deutscher Soldat in einem Kampfeinsatz auf Menschen. In der Nacht zuvor sind 1000 deutsche NATO-Soldaten in Prizren eingezogen. Die albanische Bevölkerung empfängt sie am Straßenrand wie eine Befreiungsarmee. Die einstigen serbischen Machthaber stehen verunsichert am Ortsrand.

Copyright: Uli ReinhardtDie Präsenz der Bundeswehrsoldaten im Kosovo – hier Bilder aus dem Jahr 1999 – wurde von der Bevölkerung positiv aufgenommen (alle Fotos: Uli Reinhardt)
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Um kurz nach 18 Uhr durchbricht ein gelber Lada mit zwei bewaffneten Insassen, serbischen Paramilitärs, eine Fahrzeugsperre. Er steuert auf eine Kreuzung zu, an der sich deutsche Soldaten mit einem Luchs-Panzer positioniert haben. Sie geben einen Warnschuss ab, das Auto der Angreifer setzt heulend zurück. David Ferk, ein Leutnant aus dem schwäbischen Sigmaringendorf, gibt den Feuerbefehl und schießt als erster. Die deutschen Soldaten werden den Tag später „Bloody Sunday“ nennen.

Der Kampfeinsatz der Bundeswehr dauert zu diesem Zeitpunkt schon fast drei Monate. Vom 24. März bis 10. Juni 1999 unterstützt die deutsche Luftwaffe als Teil der „Operation Allied Force“ die Angriffe gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Der Luft-Boden-Krieg ist die erste militärische Operation ohne UN-Mandat. Der Begriff „Kollateralschaden“, den die NATO für die zivilen Opfer der Luftangriffe wählt, wird 1999 zum Unwort des Jahres gekürt. 

Der Deutsche Bundestag hat bereits im Oktober 1998 beschlossen, dass sich die Bundeswehr an einem NATO-Kampfeinsatz beteiligen darf. Auch die neu gewählte rot-grüne Bundesregierung beugt sich dem moralischen Druck und unterstützt die Intervention. Sie will den Völkermord verhindern, sich nach 16 Jahren Kohl aber auch außenpolitisch emanzipieren. 

Joschka Fischer wird mit einem Farbbeutel beworfen

Beim Sonderparteitag der Grünen am 13. Mai 1999 in Bielefeld geht es deshalb hoch her. Vor der Halle beschimpfen Demonstranten Grüne Spitzenpolitiker als Kriegstreiber und Mörder. Im Zentrum der Kritik steht Außenminister Joschka Fischer. Er ist für eine Intervention. Im April 1999 sagt er: „Ich habe aus der Geschichte nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg. Ich habe auch gelernt: Nie wieder Auschwitz.“

Während seiner Rede wird Fischer von einem roten Farbbeutel am Ohr getroffen. Nach einer hitzigen Debatte stimmt der Parteitag mit knapper Mehrheit dem Antrag des Bundesvorstands zu, der die Verhinderung einer humanitären Katastrophe über das grüne Bekenntnis zu Pazifismus stellt. In ihrem Abschlussbericht wird eine Friedens- und Sicherheitspolitische Kommission der Partei ein Jahrzehnt später schreiben, man habe bei der Begründung des Einsatzes „teilweise moralisch“ überzogen.

Am 10. Juni 1999 zieht der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic seine Truppen aus dem Kosovo zurück. Sie haben Schätzungen zufolge rund 10.000 Kosovo-Albaner ermordet. Durch die UN-Resolution 1244 wird der Weg frei für die Stationierung der Nato-Friedenstruppe KFOR. Etwa 40.000 Soldaten aus 37 Nationen sollen den Abzug der serbischen Streitkräfte kontrollieren, die Waffenruhe aufrechterhalten, Milizen entwaffnen, für die Sicherheit aller Einwohner sorgen, Vertriebenen die Rückkehr ermöglichen und UNMIK, die Übergangsverwaltung durch die Vereinten Nationen, schützen. Am 12. Juni 1999 beginnt die Bundeswehr ihren Einsatz im Kosovo mit einem Kontingent von 6000 Soldaten. 

Die deutschen Soldaten geben 220 Schüsse ab – „aus Notwehr“ 

Der serbische Lada-Fahrer stirbt bei dem Feuergefecht am 13. Juni 1999 in Prizren noch in seinem Wagen. Leutnant Daniel Ferk und sechs weitere Soldaten haben aus ihren G-36-Gewehren und aus Maschinengewehren rund 220 Schüsse abgefeuert. Auch der Beifahrer ist von den Deutschen mehrfach getroffen worden, er stirbt später im Krankenhaus. Ein Oberfeldwebel wird durch einen Querschläger verletzt.

Copyright: Uli Reinhardt
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Die Staatsanwaltschaft Koblenz kann bei der Untersuchung des Vorfalls kein Fehlverhalten bei den Soldaten erkennen. Sie hätten aus Notwehr geschossen, urteilt die Behörde. Für die „beispielhafte Erfüllung der Soldatenpflicht“ bekommt Ferk die höchste Auszeichnung der Bundeswehr verliehen: das Ehrenkreuz in Gold. Auch der grüne Bundestagsabgeordnete Tom Koenigs lobt das Auftreten der Bundeswehr rückblickend. Dadurch seien die neuen Machtverhältnisse im Kosovo schnell geklärt gewesen. Dennoch fallen in den ersten zwei Jahren nach Kriegsende um die 1000 Serben und Roma Vergeltungsakten zum Opfer.

Eine erste Zäsur des deutschen KFOR-Einsatzes ereignet sich im März 2004, als es landesweit zu gewalttätigen Ausschreitungen kommt. Klöster, Kirchen und Einfamilienhäuser der serbischen Minderheit brennen. 20 Menschen sterben, über 4000 Serben und Roma werden vertrieben. „Deutsche Soldaten tragen maßgeblich zur Eindämmung und Befriedung der Unruhen bei“, schreibt die Bundeswehr in ihrer Einsatz-Chronologie. In Regierungskreisen wird der Einsatz wegen Mängeln bei der Ausstattung und der Personalführung dagegen als „katastrophal“ bezeichnet, berichtet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.

Bislang starben 27 deutsche Soldaten

Drei Tage nach der Unabhängigkeitserklärung am 17. Februar 2008 beschließt die schwarz-rote Bundesregierung, den Kosovo völkerrechtlich anzuerkennen. Die NATO reduziert in der Folge die militärische Präsenz schrittweise und überträgt Kompetenzen an die EU-Rechtsstaatsmission EULEX. Sie soll das Land beim Aufbau von Polizei, Justiz und Verwaltung unterstützen. Die KFOR tritt als Sicherheitsmacht in den Hintergrund. Als Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg 2010 die deutschen Soldaten besucht, schreibt die Wochenzeitung „Die Zeit“ erstmals vom „vergessenen Einsatz“ im Kosovo – der Bundeswehreinsatz in Afghanistan bestimmt die Schlagzeilen.

Für die Bundeswehr wird verstärkt der Nordkosovo zum Einsatzort. Die serbische Bevölkerung die Regierung in Pristina nicht anerkennt. Dort kommt es ab September 2011 zu anhaltenden Spannungen. Die NATO schickt im Oktober 2012 eine 700 Mann starke, deutsche Eingreiftruppe in die Region. Bei der Räumung von Straßenblockaden werden zuletzt im Juni 2012 zwei deutsche Soldaten bei einem Schusswechsel verletzt. Insgesamt sind in 15 Jahren 27 deutsche KFOR-Soldaten im Einsatz gestorben: allesamt bei Unfällen oder durch Selbstmord. 

Im Juni 2014 verlängert der Deutsche Bundestag das KFOR-Mandat der Bundeswehr erneut um zwölf Monate. Im Antrag der Bundesregierung steht: „Die Lage in der Republik Kosovo ist grundsätzlich ruhig und stabil, allerdings bleibt das Konflikt- und Eskalationspotenzial im kosovo-serbisch dominierten Norden Kosovos weiterhin hoch.“ Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen spricht bei ihren Truppenbesuch im Mai 2014 von einem „langsamen Ausgleiten“ der Mission. 2014 sind noch rund 700 deutsche KFOR-Soldaten im Kosovo stationiert.