Im Landeanflug auf Auckland beendet der Kapitän seine Ansage mit den Worten: „Ich fühle mich geehrt, die erste Gruppe albanischer Flüchtlinge an Bord zu haben. Ich wünsche Ihnen den bestmöglichen Start in unserem Land.“
An dieser Stelle der Erzählung steigen Majlinda Tränen in die Augen, die sie schnell wegtupft. Unter ihrer braunen Lockenmähne, die sie einhüllt wie eine Madonnenfigur, wirkt die zierliche Fotografin einen Moment lang zerbrechlich, bevor sie ihre Haltung zurückgewinnt.
Sie ist 14 Jahre alt, als sie und ihre Familie 1999 als Kriegsflüchtlinge nach Neuseeland kommen. Majlinda erlebt nach ihrer Ankunft einen Kulturschock. Sie kann kaum Englisch, doch nicht nur die Sprachbarriere trennt sie von ihren neuen Mitschülern. „Sie kamen mir alle so dumm vor“, sagt sie. „Im Kosovo hatten meine Freundinnen und ich die politische Lage bis ins Detail gekannt. Das einzige, was die Mädchen an der Highschool in Neuseeland interessierte, war die Farbe ihres Lidschattens.“ Auch als ihr Englisch besser wird, bleibt sie deshalb stumm. Sie ist eine Außenseiterin, ganz anders als in ihrer Heimat Pristina, wo sie viele Freundinnen gehabt hatte.
Eigentlich hatte sie Theaterautorin oder Regisseurin werden wollen. In Neuseeland sucht sie eine Sprache ohne Worte und findet so zur Fotografie.
„Durch Freud fand ich Worte für mein Gefühl, fremd zu sein“
Nach der Highschool bewirbt sie sich an der Kunsthochschule in Auckland für den Studiengang Fotografie und wird angenommen. „Es war die beste Entscheidung meines Lebens“, sagt sie. „Endlich waren wieder Menschen um mich, die dachten wie ich. Ich fing wieder an zu sprechen. Wir saßen oft stundenlang zusammen und diskutierten.“
Sie liest den Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud. Besonders sein Text „Das Unheimliche“ inspiriert sie. „Es war, als hätte er genau mein Gefühl, fremd zu sein, beschrieben.“ Von Freuds Texten angeregt, entwickelt sie eine Serie mit dem Titel „Im Reich des Unheimlichen“. Es sind Einzelportraits in schwarz-weiß, die inszeniert sind wie auf einer Theaterbühne. Sie zeigen Menschen, die mit halbgeschlossenen Augen irgendwo zwischen der realen und einer Traumwelt zu stehen scheinen.
Als Majlinda 2006 für einige Wochen ihre alte Heimat besucht, ist sie enttäuscht. Die Frauen auf der Straße seien gestylt gewesen wie Puppen und ihre alten Freundinnen hätten nur noch an Familiengründung gedacht. Wieder fühlt sie sich fremd. Nur diesmal verliert sie, was sie bisher für ihre Heimat gehalten hatte.
Rückkehr lenkt ihre Kunst in eine neue Richtung
Auch künstlerisch gesehen war ihr Besuch ein Einschnitt. Statt die Serie ihrer Schwarz-Weiß-Portraits fortzusetzen, macht sie in Kosovo Landschaftsaufnahmen, die in melancholischen Farben gehalten sind. „Ich hatte das nicht so geplant“, sagt sie, „Aber als ich da war, merkte ich, dass keine Inszenierung mehr notwendig war. Was ich sagen wollte, war einfach da. Ich musste nur noch hingehen und es aufnehmen.“
Aus diesem Grund kehrt sie 2010 wieder zurück in den Kosovo. In der Anfangszeit gibt Pristina ihr neue Inspiration. Sie schließt enge Freundschaften mit anderen Künstlern, stellt ihre Arbeiten aus und wird stellvertretende Bildredakteurin bei der Kulturzeitschrift Kosovo 2.0.
Doch nach vier Jahre im Kosovo will sie so bald wie möglich wieder weg. Auf jeden Fall noch in diesem Jahr. „Es ist so ein Chaos hier, und nichts funktioniert. Es blockiert mich. Ich kann nicht mehr klar denken hier.“