„Wir haben mehr als 10.000 illegale Bauten“

Illegal Bauen ist auf dem Balkan die Regel, nicht die Ausnahme. Der letzte Stadtplaner von Pristina, der dagegen vorging, wurde erschossen. Nun wagt es wieder jemand: Sphend Ahmeti. Interview mit einem Unerschrockenen.
Copyright: Martin TheisDer einen Schrecken, der anderen letzte Hoffnung: Shpend Ahmeti, Bürgermeister von Pristina (Foto: Martin Theis)

Pristina wurde im Krieg kaum zerstört. Von der alten Stadt ist trotzdem fast nichts mehr da. Warum?

Weil überall illegal gebaut wird. Es fing mit ein oder zwei Gebäuden an, die genehmigt wurden, obwohl es nach dem Krieg kein Kataster und keine Bebauungspläne gab. Kurz darauf schossen überall Gebäude aus dem Boden. Heute haben wir mehr als 10.000 Häuser, die nicht ganz legal sind: Es geht los bei Stockwerken, die ohne Genehmigung auf bestehende Gebäude gesetzt wurden, und reicht hin bis zu Hochhäusern, die komplett illegal sind – einige davon sind sogar auf städtischem Grund. Die Folgen müssen wir jeden Tag ertragen: Die Infrastruktur ist überlastet und der Verkehr ist unerträglich. Das verursacht Stress.

Wieso wurden die Leute nicht daran gehindert?

Die Stadtverwaltung um Isa Mustafa war unfähig und korrupt. Zurzeit laufen deswegen Strafverfahren gegen fünfzehn Mitarbeiter. Sie sagen zwar: „Wir wussten nichts davon“, aber sie wussten es. Außerdem ist Unwissen keine Rechtfertigung. Als Bürgermeister oder Direktor des Stadtplanungsamtes musst du wissen, welche Gebäude illegal sind. Oft erkennt man sie mit bloßem Auge – dazu muss man kein Architekt sein. Einige Häuser sind einen halben Meter vor das Küchenfenster eines anderen gebaut. Die Frage ist nur, warum sie es zugelassen haben: Hatten sie Angst oder wurden sie geschmiert?

Die Häuser stehen – was nun?

Seit Dezember vorigen Jahres gibt es ein neues Gesetz: Alles, was vor dem 30. August 2013 gebaut wurde, kann legalisiert werden. Alles, was danach ohne Genehmigung gebaut wurde, wird abgerissen. Besitzer von illegalen Gebäuden können sich um eine Genehmigung bewerben. Wir beurteilen die Sicherheit des Gebäudes, stellen den Grundbesitz fest und entscheiden dann. Wenn es legalisiert wird, zahlt der Besitzer eine Geldstrafe und eine Gebühr. Kann der Besitzer das nicht zahlen, werden wir ein paar der Appartements als Sozialwohnungen nutzen. Steht ein Haus allerdings unter einer Stromleitung oder auf einer Wasserleitung oder auf städtischen Gebiet und blockiert eine Straße, kommt es auf die Abrissliste. Es fühlt sich nicht gut an, als Bürgermeister Häuser abzureißen. Aber an erster Stelle steht die Sicherheit der Bürger.

Und wie sehen die das?

Die Leute wollen, dass das Chaos aufhört. Wenn ihr eigenes Haus abgerissen wird, protestieren sie natürlich. Wenn sie aber sehen, dass das Gesetz für alle gleichermaßen gilt, akzeptieren sie es. Es sind ohnehin nicht so viele Privathäuser betroffen. Meistens müssen wir uns mit Firmen und Investoren auseinander setzen.

Haben Investoren versucht, Sie zu bestechen?

Viele haben um ein Gespräch gebeten. Aber ich treffe sie nur einmal und sage ihnen, dass es keine politische Diskussion ist. Es ist das Gesetz, und ich führe das Gesetz aus. Sie haben versucht, uns mit indirekten Nachrichten einzuschüchtern: Wir sind stark, und keiner kann uns stoppen und so. Aber ich gebe ihnen keine Gelegenheit, mich zu bestechen.

Haben Sie keine Angst? Sie haben sogar schon eine Morddrohung erhalten.

Ich nehme Drohungen natürlich ernst, aber ich werde mich von solchen Methoden nicht einschüchtern lassen.

Was ist Ihre Vision für Pristina?

Pristina braucht vor allem mehr öffentliche Plätze. Ich werde auch den Autos den Kampf ansagen, um Raum für die Allgemeinheit zu gewinnen. Ich bin ein Fan von Orten, die allen Menschen gehören. Dort kann die Stadt atmen.

Die Fragen stellte Katharina Müller-Güldemeister