„In erster Linie sind wir alle Menschen“

Dass Kosovo sich ein unabhängiges Land nennt, damit ist Miloš Stanjoković nicht einverstanden. Im Interview erzählt der Mitarbeiter einer Jugendorganisation, warum er als Kosovo-Serbe trotzdem Albanisch lernt und an eine Versöhnung zwischen Serben und Albanern glaubt.
Copyright: Ralf KeinathMiloš Stanjoković will den Serben im Kosovo wieder Hoffnung geben (Foto: Ralf Keinath)

Miloš Stanjoković betritt pünktlich um 10 Uhr das Café Mery’s, nahe des Grand Hotel Prishtina. Er gibt zur Begrüßung die Hand, hat einen freundlichen und offenen Blick. Seine Bestellung gibt er auf Albanisch auf und sagt dann lachend: „Ich bin Serbe und habe gerade auf Albanisch einen Kaffee bei einem Albaner bestellt. Es gibt noch Hoffnung.“

Sie sprechen Albanisch?

Miloš Stanjoković: Ich bin gerade dabei, es zu lernen.

Gestern war ich mit einem Serben in einem Supermarkt. Die Verkäuferin wollte mit ihm nicht auf Serbisch sprechen, obwohl sie die Sprache konnte.

Unter Milošević in den Neunzigern galt man als Verräter, wenn man Albanisch gesprochen hat. Die Albaner hatten damals keine eigenen Schulen, sie mussten unsere Schulen besuchen. Das ist der Grund, warum die älteren Albaner Serbisch sprechen, die meisten Serben aber kein Albanisch. Es kommt vor, dass Albaner so auf uns reagieren. Mir ist etwas Ähnliches erst einmal passiert in den letzten 15 Jahren: Ich war mit Freunden in einem Café, am Nebentisch saßen Albaner. Sie haben gesagt: „Ich ertrage es nicht, eure Sprache zu hören, geht irgendwo anders hin. Geht nach Serbien, dort könnt ihr Serbisch sprechen.“ Der Kellner hat gesehen, dass es bei uns Probleme gab. Obwohl er Albaner war, hat er nicht uns, sondern die anderen Gäste aus dem Lokal geworfen. Viele Leute im Kosovo sind sehr voreingenommen und verurteilen einen sofort, etwa wenn sie hören, welche Sprache man spricht.  

Würden Sie sagen, dass die Mehrheit voreingenommen ist?

Unglücklicherweise ja. Das gilt für Albaner, wie für Serben. Ein Problem ist auch, dass Serbien uns in den letzten Jahren signalisiert hat, nicht an den Wahlen im Kosovo teilzunehmen. Das war die Zeit des Boykotts, wir sollten uns raushalten, statt uns zu integrieren. Nach zehn Jahren hat die serbische Regierung jetzt endlich gesagt: Ihr Serben im Kosovo sollt an den Wahlen teilnehmen.

Ich bin überrascht, dass Sie als Serbe der Idee eines unabhängigen Kosovo gegenüber so aufgeschlossen sind.

Bin ich nicht. Aber es ist eben die Realität. Als die serbische Regierung das Brüsseler Abkommen  im April 2013 unterzeichnete, hat sie den Kosovo de facto anerkannt. Ich glaube zwar nicht, dass der Kosovo schon bereit für die Unabhängigkeit ist, aber wir können die Zeit nicht zurückdrehen. Ich will, dass die serbische Gemeinschaft das Beste aus dieser Situation macht.

Wie soll das konkret aussehen?

Wir haben jetzt eine neue Chance mit der Parlamentswahl in diesem Jahr. Wir sollten sie nutzen. Die serbischen Politiker der letzten Jahre sind nur über Beziehungen ins Parlament gekommen, nicht weil sie bereit sind zum Dialog. Wenn sich daran nichts ändert, wird es im Kosovo bald keine Serben mehr geben.

Das Brüsseler Abkommen Am 19. April setzten der kosovarische Premierminister Hashim Thaçi und der ehemalige Ministerpräsident Serbiens, Ivica Dačić, ihre Unterschriften unter das 15-Punkte umfassende Brüsseler Abkommen. Das Dokument besagt unter anderem, dass die Gemeinden mit einer serbischen Mehrheit – das betrifft hauptsächlich den Nord-Kosovo – sich zu einem Gemeindeverbund zusammenschließen dürfen. In diesem Verbund darf eigenmächtig über Bereiche wie wirtschaftliche Entwicklung, Gesundheit oder Bildung entschieden werden. Im Gegenzug wird gefordert, dass etwa serbische Polizei und Justiz in Nord-Mitrovica in die kosovarischen Verwaltung eingegliedert werden.

Viele Kosovo-Serben sagen, Serbien habe sie mit dem Brüsseler Abkommen aufgegeben.

Serbien hat den Kosovo mit dem Brüsseler Abkommen anerkannt und uns Kosovo-Serben damit in gewisser Weise auch aufgegeben. Schließlich war das Brüsseler Abkommen eine Voraussetzung für den Beginn der Beitrittsgespräche für Serbien in die Europäische Union. Wir Serben haben von den Politikern eine Menge Versprechen gehört, die nicht eingehalten wurden. Die Leute hier sind es leid, sie haben die Hoffnung verloren. Ich versuche mit meiner Arbeit den jungen Leuten wieder Hoffnung zu geben.

Haben Sie selbst noch Hoffnung?

Ja. Die habe ich wirklich. Aber wir müssen anfangen, selbst zu entscheiden, was das Beste für uns ist. Die Politiker in Belgrad wissen nicht, wie es ist, hier im Kosovo zu leben.

Sie sind Mitarbeiter der “Youth Initiative for Human Rights”. Woran genau arbeiten Sie?

Bei dem Projekt, an dem ich momentan arbeite, geht es darum, den Dialog zwischen serbischen und albanischen Jugendlichen zu fördern. Es ist leichter, mit Jugendlichen zu arbeiten, weil sie aufgeschlossener sind. Sie sind offener dafür, sich miteinander zu unterhalten. Bisher gab es zwei Studienreisen, bei denen serbische Jugendliche nach Pristina gekommen sind, wo man sonst nur wenig Serben sieht.

Welche Erfahrungen haben Sie mit den Jugendlichen in den Seminaren gemacht?

Diejenigen, die zu den Seminaren kommen, sind natürlich darauf vorbereitet, dass sie Leute anderer Ethnien treffen werden. Ich habe aber auch mit Jugendlichen zu tun, die den Kontakt ablehnen. Die frage ich dann nach Argumenten, warum sie nicht mitmachen wollen. Oft sind sie verunsichert, wissen nicht, auf wen sie treffen werden und haben Angst. Das liegt an den Stereotypen und Vorurteilen, die noch sehr stark präsent sind hier im Kosovo. Ich sage ihnen dann, dass sie nicht über jemanden urteilen sollten, bevor sie ihn getroffen haben. Schließlich sind wir in erster Linie nicht Albaner oder Serben, sondern Menschen.

Sie arbeiten nur mit jungen Menschen zusammen. Glauben Sie, dass es für die älteren Generationen zu spät ist, sich auszusöhnen?

Nein, das glaube ich nicht. Die Generation meines Vaters weiß, dass die Menschen, die Individuen, nicht Schuld daran sind, dass alles zerbrochen ist. Auf Serbisch gibt es ein Sprichwort, das lautet „Jeder trägt sein eigenes Kreuz“.

Wie reagieren anderen Serben auf Ihre Arbeit?

Mein Vater hat sich vor 15 Jahren auf demselben Gebiet engagiert wie ich. Heute sagt er mir, dass ich meine Energie verschwende, wenn ich mich weiterhin darum bemühe, dass wir Serben im Kosovo ein besseres Leben führen. Ich frage mich: wollen wir im Kosovo leben oder nicht? Ich möchte mir später keine Vorwürfe machen, dass ich es nicht versucht habe.

Die Fragen stellte Carolina Torres

Zur Person
Miloš Stanjoković kommt aus Gijlan, einer Stadt im Osten des Kosovo. Der 27-jährige Serbe hat öffentliches internationales Recht in Belgrad studiert und ist Projektassistent der Nichtregierungsorganisation „Youth Initiative for Human Rights“. Sein Ziel ist, dass Serben und Albaner im Kosovo friedlich zusammenleben können.