Die bereits Umgesiedelten

„Es war der schlimmste Tag meines Lebens“

Es war noch dunkel, als die Polizei nach Hade kam und dutzende Bewohner aus ihren Häusern vertrieb. Sie bekamen eine Wohnung in einem Gebäude in Obiliq. Vorübergehend, hieß es. Rund zehn Jahre später wohnen viele von ihnen immer noch dort – und warten auf die neuen Häuser, die ihnen versprochen wurden.

Am frühen Morgen des 2. Juni 2005 kamen die Spezialeinheiten der Polizei nach Hade. Draußen war es noch dunkel. „Sie sagten uns, dass wir fünf, zehn Minuten Zeit haben, um unsere Häuser zu verlassen“, erinnert sich Sabit Grajcevci. Was nimmt man mit, wenn man nur wenige Minuten hat, um sein Leben einzupacken? „Gar nichts“ antwortet der 44-Jährige mit einem bitteren Lachen. Fünf Tage später wurden die Häuser abgerissen, plötzlich war Grajcevci obdachlos.

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    Sabit Grajcevci mit seiner Tochter im Wohnzimmer (Foto: Uli Reinhardt)

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    Die Tochter hat die Umsiedlung der Familie nicht miterlebt (Foto: Uli Reinhardt)

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    In den letzten Jahren habe er persönlich mit vier Ministerpräsidenten über die Situation in Hade gesprochen, sagt Agim Preniqi (Foto: Uli Reinhardt)

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    Die meisten, die vor zehn Jahren aus Hade umgesiedelt wurden, leben heute in diesem Gebäude in Obiliq (Foto: Alessandro Alviani)

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    Es ist noch unklar, wann Kosovo B erneuert wird (Foto: Uli Reinhardt)

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    Shkabaj: Das neue Hade ist immer noch nicht fertig (Foto: Alessandro Alviani)

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    Selbst im neuen Hade wird man die Kraftwerke Kosovo A und Kosovo B stets vor sich haben (Foto: Alessandro Alviani)

Er verbrachte zwei Jahre bei Bekannten, bis er eine Wohnung bekam, die zu seinem persönlichen Wartezimmer wurde. 64 Quadratmeter groß, zwei Zimmer, die er mit seiner Frau und den vier Kindern teilt, weiße, leere Wände. Einen Garten, wo er Gemüse für seine Familie anbauen kann, so wie früher, gibt es nicht. Eine vorübergehende Bleibe, sagten sie ihm, nur bis die neuen Häuser in Shkabaj, einem Ort zwischen Pristina und Obiliq, fertig seien. Nun sitzt Sabit Grajcevci auf einem Sofa und tut, was er jeden Tag tut: Er wartet. Auf ein neues Haus, in das er einziehen darf. Auf eine Entschädigung für das Land, das ihm weggenommen wurde. Zurück kann er nicht. Weiter auch nicht. „Warten, warten und warten, zehn Jahre lang. Das ist schlimm, es ist zu viel“, sagt er auf Deutsch. Er lernte die Sprache in Hamburg, wo er fast zehn Jahre lang als Dachdecker arbeitete. Im Jahr 2000 beschloss er, in seinen Geburtsort Hade zurückzukehren. „Ich habe gedacht, hier geht es uns besser, sonst wäre ich nicht zurückgekommen.“

Früher ein Teil von Hade, heute eine Brache

Seine vierjährige Tochter Erisa liegt in seinen Armen – und versteht nicht, was ihr Papa sagt. Deutsch kann sie nicht. Den Tag, den ihr Vater als „den schlimmsten meines Lebens“ bezeichnet, hat sie nicht miterlebt. „Wir haben es gewusst: eines Tages müssen wir weg. Aber nicht einfach so, von heute auf morgen, mit der Polizei. Wir waren nicht einverstanden“, sagt Grajcevci. „Ich war in Deutschland, habe die Tagebaue gesehen und gefragt: Wie machen Sie das? Dort plant man das zehn Jahre früher.“ Er spricht mit unaufgeregter, leiser Stimme, so, als wäre es die Geschichte einer fremden Person, nicht seine eigene.

Sabit Grajcevci ist einer von mehr als 600 Einwohnern von Hade, die zwischen 2004 und 2005 zwangsweise umgesiedelt wurden. Die offizielle Erklärung dafür: Der Tagebau war zu nah an ihre Häuser herangewachsen, die Gefahr für die Einwohner zu groß. Eine Erklärung, die Agim Preniqi noch heute empört: „Das mit der Gefahr für die Bewohner war eine Ausrede, um die Spezialeinheiten zu schicken und die Menschen aus ihren Häusern zu vertreiben“, schimpft Preniqi, der als Stadtrat Hade im Rathaus von Obiliq für drei Wahlperioden vertreten hat.


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So wie Sabit Grajcevci leben heute viele der damals Umgesiedelten – rund 80 Familien – in einem Gebäude in Obiliq, unweit des Kohlekraftwerks Kosovo B. Wie lange noch, ist unklar: Die neuen Häuser in Shkabaj, die ihnen versprochen wurden, sind immer noch im Bau. „Die haben uns alles versprochen, aber gar nichts gemacht, das ist das Schlimmste“, erzählt Grajcevci. „In Hade hatten wir keine Arbeit, aber zumindest ein Stück Land, wir haben es bearbeitet und davon gelebt, hier ist das unmöglich.“ Heute arbeitet er als Fliesenleger, seit zwei Jahren gebe ihm die Regierung keine finanzielle Unterstützung mehr. Das Beste wäre es heute, Hade komplett umzusiedeln, sagt er, „aber nicht so, wie sie es mit uns gemacht haben“.

Das, was ihnen widerfahren sei, sei unglaublich, sagt Sabit Grajcevci. Ein Beispiel, „wie Dinge nicht laufen sollen“, sagt Jan-Peter Olters, der Country Manager der Weltbank für den Kosovo. Allen sei klar, dass sich diese Erfahrung „unter keinen Umständen wiederholen sollte“. Das wäre eine Katastrophe – auch für die Weltbank: Sie prüft zurzeit eine Garantie in der Höhe von 58 Millionen Dollar für den Bau eines neuen Kohlekraftwerkes.