Gesundheitsfolgen

„Sollen Menschen sterben, damit sie eine Arbeit haben?“

Nirgendwo im Kosovo werden mehr Atemwegserkrankungen registriert als in Obiliq. Die Erkrankten besuchen ein Gesundheitszentrum, dem die richtigen Behandlungsmöglichkeiten fehlen. Zu dem geplanten neuen Kohlekraftwerk hat die Direktorin des Zentrums eine eindeutige Meinung.

Einmal die Woche verlässt Naim Svishta sein Haus in einem Dorf nahe Obiliq, von dessen Tür er das Kohlekraftwerk Kosovo A so nah sieht, als wäre es sein Nachbar. Er läuft 40 Minuten zum Gesundheitszentrum in Obiliq für eine Behandlung, die ihn nicht heilen wird. Er geht zu Fuß, weil er sich kein Fahrzeug leisten kann. Svishta ist 39, seit den Neunzigern leidet er unter Atembeschwerden. „Die Ärzte sagten mir, ich solle die Gemeinde Obiliq verlassen und in einen Ort mit sauberer Luft ziehen, aber mir fehlt das Geld dafür“, erzählt er mit rauer Stimme.

Er hat sich auch heute Morgen auf dem Weg gemacht und sitzt nun im Büro von Atifete Shulemaja, der Direktorin des Gesundheitszentrums in Obiliq. Arbeiten konnte er nie in seinem Leben. Er bekommt vom Staat eine Art Sozialhilfe: 80 Euro im Monat. Zu wenig für seine Medikamente. Er nimmt billigere Tabletten als die, die er bräuchte – und gibt dafür 50 Euro aus. In Pristina haben ihm die Ärzte ein Gerät empfohlen, das seine Situation verbessern würde. Preis: 1500 Euro. Er hat sich ein Inhalationsgerät für 50 gekauft.

Es gebe viele ähnliche Fälle hier in der Gegend, erzählt Atifete Shulemaja, die seit 28 Jahren in Obiliq als Ärztin arbeitet. In der Gemeinde – 21.000 Einwohner, zwei alte Kohlekraftwerke und eine Mülldeponie – werden 30 bis 40 Prozent mehr Fälle von Atembeschwerden registriert als im restlichen Kosovo. Die Weltbank schätzte im Jahr 2010, dass im gesamten Land jedes Jahr 835 Menschen aufgrund der Umweltverschmutzung frühzeitig sterben.

Interaktive Grafiken: Gesundheitsschäden in Obiliq

Hat sich die Lage in Obiliq nach der Installation der neuen Elektrofilter in Kosovo A verbessert? Atifete Shulemaja starrt auf ihren Bildschirm: sechs neue Fälle von Krebs, 25 Fälle von Diabetes, acht Fälle von Atembeschwerden nur in den ersten drei Monaten dieses Jahres. Die Gesamtzahl der Behandlungen steige, antwortet sie. Nur: Von hier aus kann sie wenig bewirken, erzählt die Frau, die sonst so tatkräftig wirkt. Gegen diesen Husten, mit dem die Patienten häufig erscheinen, gibt es in ihrem Zentrum keine Behandlungsmöglichkeiten. Genaue Diagnosen können sie auch nicht stellen, nur eine Erstbehandlung leisten. Für weitere Untersuchungen müssen alle Betroffenen nach Pristina.

Auch die Mutter von Naim Svishta hatte Atemschwierigkeiten, genauso wie die von Murat Paci. Heute Morgen musste er die Tür aufmachen und rausgehen, weil er keine Luft mehr bekam, erzählt der 74-Jährige, der einen traditionellen albanischen Hut trägt. Paci lebte früher in Sibovc, neben einem Wald, in einem Dorf, unter dem Braunkohle liegt. Während des Kosovokrieges brannte sein Haus nieder, er zog mit seiner Frau nach Obiliq. Seit zwei, drei Jahren habe er Atembeschwerden, seine Frau leide unter Herzproblemen. „Wenn du hier morgens aufstehst, ist alles dunkel von der Abluft“, erzählt Paci mit Mühe. „Gäbe es im Zentrum keine Behandlung, wäre ich vielleicht schon tot.“

Die Direktorin Atifete Shulemaja hofft, dass das neue Kohlekraftwerk nicht gebaut und Kosovo A geschlossen wird. „Dann müssten viel weniger Leute mit Atemproblemen behandelt werden.“ Und was wäre mit denen, die dann ohne Arbeit da stünden? Sie blickt skeptisch: „Sollen Menschen sterben, damit sie eine Arbeit haben?“