Rückkehrer

Dreimal Deutschland und zurück

Kosovo-Rückkehrer erhalten Hilfe für den Neuanfang. Dennoch träumen viele weiter von Deutschland. Manche machen sich immer wieder auf den Weg. Von Jasmin Siebert

Ismet Arifi zündet sich eine Zigarette an und setzt sich neben die Holzwiege, in der seine Tochter schläft. „Alles Katastrophe hier“, sagt der 31-jährige Kosovo-Albaner mit belegter Stimme. Er bewohnt mit seiner Frau und den drei kleinen Kindern ein Zimmer im Haus seiner Eltern. Seit einem Monat lebt Arifi nun wieder in Lipjan, einem Städtchen nicht weit von Pristina entfernt, zurückgekehrt aus Deutschland. Es ist schon sein drittes „wieder“. Seine fünf und sieben Jahre alten Söhne flitzen aufgedreht durchs Zimmer, Spielsachen haben sie nicht.

Als Ismet Arifi zum ersten Mal nach Deutschland reiste, war er zehn Jahre alt. Mit den Eltern und seinen fünf Geschwistern lebte er in der Nähe von Bamberg. Sein Vater erinnert sich noch immer gern an die Zeit in Franken. „Deutschland gut, Geld gut“, sagt er, nachdem er sich auf dem Teppichboden niedergelassen hat. Der inzwischen 63-Jährige hatte damals als Gemeindemitarbeiter die Straße gekehrt und im Friedhof Unkraut gejätet. Nach fünf Jahren wurde die Familie heimgeschickt. „Zurück in den Krieg“, sagt der alte Arifi vorwurfsvoll.

Copyright: Jasmin SiebertDer Schwager schleppte Steine für ein weiteres Stockwerk an, aber Ismet Arifi hat kein Geld, um sein großes Haus fertigzubauen (Foto: Jasmin Siebert)
Copyright: Jasmin Siebert„Ich wohne noch bei Papa“ – Ismet Arifis Vater hat ein stattliches Haus in Lipjan, einem Städtchen nicht weit von Pristina (Foto: Jasmin Siebert)

Den zweiten Versuch startete Ismet Arifi 2002 auf eigene Faust. Doch schon nach zwei Monaten stand er wieder in Lipjan vor der Tür. Sein Antrag auf Asyl habe keine Chance, hat man ihm bedeutet, und so ging er freiwillig.

Ismet Arifi hat noch nie regelmäßig gearbeitet. An manchen Tagen fand er Arbeit als Bauhelfer, doch meistens wartete er vergeblich am „Straßenstrich“ für Tagelöhner. Die Arbeitslosenquote im Kosovo gab die Weltbank 2012 mit 31 Prozent an, andere Quellen schätzen sie sogar noch höher. Ein Sozialhilfesystem gibt es nicht.

Im September 2013 machte sich Ismet, inzwischen verheiratet und Vater von drei Kindern, zum dritten Mal auf ins Land seiner Träume. Die Grenzwälder nach Serbien überquerte die Familie nachts zu Fuß. „Wir hörten Wölfe heulen“, erinnert sich Ismet Arifi und ahmt das Geräusch nach, „das Baby zitterte vor Kälte.“ Sie strandeten im Budapester Asylheim. Nach wenigen Tagen setzten sie sich in den Zug nach München.

Ein halbes Jahr wohnten sie in bayerischen Asylunterkünften. Dann erklärten Beamte, dass Ungarn für den Asylantrag zuständig sei. Doch in das Budapester Asylheim, ein altes Gefängnis, wollte Ismet Arifi auf keinen Fall zurück. Als er erfuhr, dass er 600 Euro erhalten würde, wenn er freiwillig ins Flugzeug steigt, willigte er ein. Den Rückflug in den Kosovo zahlte der deutsche Staat. „Mit Herz ging ich nicht zurück“, sagt Ismet Arifi. Doch er wusste, dass er jahrelang nicht wieder einreisen dürfte, hätte er bis zur Abschiebung gewartet.

Gezwungen freiwillig

Rund 4400 Kosovaren beantragten 2013 Asyl in Deutschland, fast 2000 mehr als im Vorjahr. Ein Viertel stellte zum wiederholten Mal einen Antrag. Kein einziger wurde anerkannt. Stattdessen steckt der deutsche Staat viel Geld in Programme für freiwillige Rückkehrer und Abgeschobene.

Zurück im Kosovo ging Ismet Arifi zur Arbeiterwohlfahrt (AWO) Nürnberg, die in Pristina ein Büro unterhält. Dort zahlte man ihm 600 Euro aus.  Er ist trotzdem enttäuscht. Denn er will nicht mehr „bei Papa“ wohnen. Vor zwei Jahren fing er an, ein Haus mit sechs Zimmern zu bauen, bis heute stehen nur die Mauern. „Andere bekommen so viel Hilfe, und ich krieg nichts“, klagt er und wünscht sich, dass ihm reiche Deutsche Geld für sein Haus spenden.

Copyright: Jasmin Siebert„Deutschland gut, Geld gut“, Großvater Brahim Arifi wünscht sich, dass seine Enkelkinder dort aufwachsen (Foto: Jasmin Siebert)
Copyright: Jasmin SiebertFür die Arifis bleibt die Tür bei URA verschlossen: Das Bund-Länder-Projekt unterstützt keine Rückkehrer aus Bayern (Foto: Jasmin Siebert)

Wie viele Menschen „freiwillig“ wieder in den Kosovo gehen, ist nicht erfasst. „Was ist schon freiwillig?“, fragt Martina Sommer, die das Kosovo-Projekt der AWO Nürnberg betreut und mehrmals im Jahr in den Kosovo reist. Sie will vor allem denjenigen helfen, denen nach vielen Jahren in Deutschland die eigene Heimat fremd geworden ist. „Nicht jeder will schließlich in der deutschen Kultur leben“, ist sie sich sicher. Viele hätten Heimweh. 

Die kosovarischen Mitarbeiter der AWO Nürnberg fragen nicht, warum die Leute zurückgekommen sind, sondern wie sie ihnen helfen können. Psychologen und Sozialarbeiter erstellen für jede Familie ein individuelles Unterstützungspaket. Das kann auch mal Wasserhähne, Ziegen oder ein Glasauge enthalten. Festgelegt ist nur der Lohnzuschuss. Wer einen Arbeitsplatz findet, bekommt ein halbes Jahr lang 150 Euro im Monat zum Lohn dazu. Oft passiert das nicht. Die AWO ist schon stolz, dass sieben ihrer Klienten eine dauerhafte Arbeit fanden.

Parasit in Deutschland

Von der AWO Nürnberg in Pristina sind es nur wenige Minuten zu Fuß zum Büro von URA  – das albanische Wort für „Brücke“. Das Projekt des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unterstützt seit 2007 freiwillige Rückkehrer und Abgeschobene bei der Wiedereingliederung. Ismet Arifi versuchte auch dort, Hilfe zu bekommen. Doch Bayern, wo er mit seiner Familie lebte, beteiligt sich nicht an dem Bund-Länder-Projekt. Deswegen schickten die URA-Mitarbeiter Ismet Arifi wieder weg.

In den Abschiebefliegern nach Pristina saßen in den vergangenen beiden Jahren 843 Menschen. Auch 183 Straftäter waren darunter. Für die Bundesrepublik ist es allemal günstiger, Straftäter abzuschieben, als sie in deutschen Gefängnissen einzusperren. Werden alle „Reintegrationsmaßnahmen“ ausgeschöpft, können Abgeschobene maximal 1625 Euro bekommen, über die Hälfte davon als Sachleistungen wie Möbel und Miete.

Isen Bobaj kennt sich aus mit Rückkehrern. Er leitete viele Jahre das inzwischen beendete Rückkehrerprojekt der AWO Bremerhaven in Prizren. Momentan ist er arbeitslos, sammelt Spenden für Jugendprojekte und ist an der Organisation eines Stelzentheaters in Prizren beteiligt, bei dem Jugendliche unterschiedlicher Ethnien mitmachen. Auch Rückkehrer sind darunter. Von den Menschen, die 2013 akut von einer Abschiebung in den Kosovo bedroht waren, waren laut Zahlen des BAMF über 40 Prozent Kinder. Für sie ist eine Abschiebung besonders traumatisch.

15 Jahre nach Ende des Krieges gebe es kaum noch echte freiwillige Rückkehrer. „Heute gehen die meisten gezwungen freiwillig.“ Bobaj kritisiert, dass die gut gemeinte Hilfe keine echte Integration bewirkt: „Rückkehrer brauchen mehr als eine Wohnung, hübsche Möbel und Lebensmittel. Nur Geld zu geben, ist keine Reintegration.“

Copyright: Jasmin SiebertRauchend auf ein besseres Leben wartend: Ismet Arifi mit seiner Frau Hafije, im Hintergrund seine Mutter (Foto: Jasmin Siebert)
Kehrt eine Familie nach vielen Jahren in den Kosovo zurück, leiden die Kinder am meisten. Merula, ein Theaterprojekt auf Stelzen, ist aus der Sozialarbeit mit Rückkehrern entstanden. Jugendliche mit verschiedenem ethnischen Hintergrund spielen gemeinsam – für eine bessere Zukunft im Kosovo. Merula finanziert sich durch Spenden. Mitglieder des Merula-Theaterprojekts erzählen von ihrer Rückkehr in den Kosovo.

Er betont, wie wichtig die psychologische Betreuung ist. Viele Rückkehrer wollten wieder nach Deutschland, obwohl sie dort nur von Sozialhilfe gelebt und nie eine Perspektive gehabt hätten. „Du hast in Deutschland als Parasit gelebt! Du kannst dort deine Träume nicht verwirklichen!“ Solche Sätze sagte Bobaj dann zu ihnen. Bis sie das akzeptierten, konnte es lange dauern. „Sechs Monate sind auf jeden Fall zu kurz für eine erfolgreiche Integration.“ Er kennt Familien, die mindestens dreimal wieder Richtung Deutschland aufgebrochen sind. „Bei ihnen reichen auch zwei Jahre nicht für eine erfolgreiche Reintegration.“

Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl kritisieren, dass das URA-Projekt nur der Rechtfertigung von Abschiebungen diene und Armutsflüchtlinge mit finanziellen Anreizen zurück in die Heimat locke, ohne ihnen langfristig eine Perspektive zu bieten. Tatsächlich fanden laut BAMF nur 75 Menschen nach ihrer Rückkehr in den vergangenen beiden Jahren einen Job. Nach Ende des sechsmonatigen Lohnzuschusses arbeitete weniger als die Hälfte von ihnen weiter. Je nach Region sind 90 bis 100 Prozent der Rückkehrer arbeitslos.

Einfach alles schön

Ismet Arifis älterer Sohn freut sich auf den Schulanfang. Sein Vater zerbricht sich vor allem den Kopf über die 15 Euro, die der Schulbus jeden Monat kostet. Wie an so vielen Tagen kreisen die Gespräche nur ums Geld. „Was soll ich machen ohne Arbeit?“, fragt sich Ismet Arifi. Und würde er eine finden, wie sollte er mit dem kosovarischen Durchschnittsgehalt von 200 Euro seine Familie ernähren? „Es ist ungerecht, dass ich keinen Bruder in Deutschland habe“, sagt er. Laut Auswärtigem Amt werden etwa 500 Millionen Euro von Angehörigen im Ausland jedes Jahr in den Kosovo geschickt. Viele Häuser werden mit Geld aus der Diaspora gebaut. Doch Ismet Arifis Bruder wohnt ein Stockwerk tiefer.

Arifi sieht keine andere Möglichkeit, als sich wieder auf den Weg zu machen, wenn er etwas Geld beisammen hat. Er vermisst Deutschland, wo ihm „einfach alles“ gefällt, sogar das Asylheim in einem fränkischen Dorf. Er weiß, dass die Chancen auf Asyl sehr schlecht stehen. „Ich versuche es trotzdem“, sagt er und lacht. Es ist ein Lachen zwischen Hoffnung und Verzweiflung.


Eigentlich wollte Jasmin Siebert eine glückliche Rückkehrer-Familie porträtieren. Stattdessen traf sie auf viele Menschen, die sie um ihren deutschen Pass beneideten.


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