NEWBORN – neu geboren – verkünden die drei Meter hohen Lettern eines Monuments im Zentrum Pristinas, das 2008 zur Feier der Unabhängigkeitserklärung enthüllt wurde. Die Großbuchstaben wirken in der Umgebung trister Wohnblöcke und heruntergekommener Fassaden wie eine Lüge. Doch in den Hinterhöfen und Seitenstraßen Pristinas trifft man tatsächlich auf „Neugeborene“: Hier trifft sich die junge Kunstszene bei türkischem Kaffee und Latte Macchiato.
Die Kunsthistorikerin Vesa Sahatçiu ist als Publizistin, Autorin und Kuratorin tätig und gilt als wichtige Kennerin der Kunstszene im Kosovo. Sie ist enttäuscht, wie wenig kontrovers die gesellschaftlichen Themen, über die sie schreibt, diskutiert werden. „Du schreibst ein Theaterstück und denkst, das wird hochgehen wie eine Bombe. Aber es passiert einfach nichts. Die Leute kommen nach der Aufführung, bedanken sich und gehen nach Hause.“
Die Ursache dafür sieht sie in der konfliktscheuen Mentalität, die tief in der kosovarischen Geschichte verwurzelt sei. Bis heute dominiere das traditionelle Konsensdenken, meint Vesa Sahatçiu, eine Konfliktkultur im westlichen Sinne habe sich nicht durchgesetzt.
Freie Kunstszene entsteht abseits der Akademien
Selbst von den Universitäten und Kunsthochschulen gehen ihrer Meinung nach kaum Impulse zur Erneuerung des Landes aus. Die akademische Tradition des Kosovo ist noch jung – erst in den sechziger Jahren entstanden in Pristina und Peja erste albanische Hochschulen, doch statt nach einem eigenen Stil zu suchen, habe man lieber kopiert, sagt Sahatçiu. „In der Kunst bemühte man sich um eine Imitation westlicher Stilrichtungen, statt Reflexionsvermögen und Innovation zu befördern.“ An diesem konventionellen Kunstverständnis hielten die Hochschulen bis heute fest.
Doch abseits der Institutionen bildete sich nach Ende des Krieges eine alternative Szene junger Künstler. Viele von ihnen hatten während der Vertreibung im westlichen Ausland studiert. Auch der Einfluss der Popkultur nahm zu. Es entstanden neue Bands, die traditionelle serbische, albanische oder Gypsy-Musik mit Popelementen verbanden. Die berühmtesten darunter: Diameda, KEK und Por-no.
Nur wenigen Künstlern aus dem Kosovo gelang bisher der internationale Durchbruch. Bei der Biennale 2013 war der Kosovo erstmals mit einem eigenen Pavilion vertreten, in dem Arbeiten des Fotografen Petrit Halilaj ausgestellt wurden. Eine wichtige Instanz im Kunst- und Kulturleben des Kosovo ist der Kurator Erzen Shkololli, der in Peja die Kunstgalerie Exit und das Institute of Modern Art gründete. Beide Einrichtungen gelten als Sprungbrett zu internationalem Erfolg.
Die Generation der heute Dreißigjährigen wuchs in einem durch ethnische Konflikte gespaltenen Land auf und erlebte Krieg und Vertreibung. Sie hoffte auf einen Neuanfang, aber bis heute, 15 Jahre nach Ende des Krieges, geht die Modernisierung des Landes nur schleppend voran. Diese Erfahrungen spiegeln sich in den Arbeiten junger Künstler im Kosovo wider.
Drei von ihnen haben wir besucht: Die Fotografin Majlinda Hoxha erzählt in ihren Bildern von den Widersprüchen ihres Landes und der eigenen Entwurzelung. Der Filmemacher Ujkan Hysaj lässt in seinem auf einer wahren Begebenheit basierenden Kurzfilm „Kolona“ das Flüchtlingsschicksal einer albanischen Familie aufleben. Der Musiker Bajram „Kafu“ Kinolli und seine Band Gypsy Groove treten für Versöhnung und Völkerverständigung ein.