Bundeswehr

Mission im Konjunktiv

Seit 15 Jahren sind deutsche Soldaten im Kosovo. Wer die Bundeswehr dort besucht, erlebt eine Truppe auf der Suche nach der richtigen Körperspannung. Die Soldaten warten, das Material wird gewartet. Ein Erfolg ist der Einsatz trotzdem: für das Land.Von Christoph Dorner

Das Eisentor von FOP 31 quietscht, gleich passiert etwas. Die Soldaten, die unter einer Regenplane zusammenstehen, verstummen. Zuvor haben sie geredet, um zu reden. Über das Hundewetter, Fußball, Pornofilmtitel und das große Strategiespiel der Ministerin, die Bundeswehrreform. Darüber, was sie tun werden, wenn das alles vorbei ist. Ein Monat noch, dann geht es für die Männer zurück nach Deutschland – wenn nichts dazwischenkommt. Vielleicht herrscht statt der fröhlichen Resignation deshalb kurz Verwirrung in der Runde: Wer kommt denn da?

Copyright: Christoph DornerNeed for Speed? Auch Kompaniechef L. braucht während des Einsatzes im Camp Novo Selo eher Geduld (Foto: Christoph Dorner)
Copyright: Christoph DornerBudenzauder: Zwei deutsche Soldaten haben an einem Kontrollpunkt im Nordkosovo nichts anderes zu tun, als Autos zu zählen (Foto: Christoph Dorner)

Ein streunender, hellbrauner Windhund hat das Eisentor des Kontrollpunkts mit seinem zerzausten Schädel aufgeschoben. Als er humpelnd um die Ecke biegt und vor den Soldaten mit hechelnder Zunge still steht wie früher ein Wehrdienstleistender nach einem Tagesmarsch, lachen die Männer tief aus ihren Bäuchen heraus: Der schon wieder. Der Hund blickt in die Runde, macht kehrt. Ihm ist es im Forward Operating Post 31 anscheinend zu langweilig.

FOP 31 ist aber auch ein Unort. Die Bundeswehr hat ihn an den Seitenstreifen der porösen Passstraße E80 gekippt wie eine Ladung Sperrmüll. Eine triste militärische Trutzburg, mit drei Wohncontainern mit kleinen Fenstern, einem eisernen Wachhäuschen mit Ausguck zur Straße und einem blauen Dixie-Klo draußen vor dem Tor. Betonfertigteile vom Typ Berliner Mauer, von denen der Putz abbröckelt, schirmen die Soldaten von den rostfarbenen Felsen des Kopaonik-Gebirges ab.

Am nass-grauen Himmel hängt die gehisste deutsche Fahne wie ein Putzlumpen. Betritt man den schlauchartig schmalen FOP 31, geht es bereits nach fünf Schritten hinter einem Maschendrahtzaun steil den Hang hinunter zum grün schimmernden Gazivoda-Stausee, der auf der Landkarte wie eine spitze Schlangenzunge von Serbien in den Norden des Kosovo hineinragt.

Der Einsatz im FOP 31 besteht aus drei Dingen, sagt der Soldat: Warten, essen, schlafen

Fünf Soldaten der deutschen Einsatzkompanie, die im ungleich komfortableren Camp Novo Selo nahe Mitrovica stationiert ist, schieben am FOP 31 einen unwirtlichen, dreitägigen Schichtdienst am Abgrund: Die Dusche kommt aus dem einen Kanister, der Filterkaffee aus dem anderen. Der Kompaniechef, ein drahtiger, 30-jähriger Hauptmann aus der Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne im niedersächsischen Augustdorf, ist bei seinem Kurzbesuch im Urteil über den Komfortfaktor des Postens ganz freimütig: „Natürlich ist es scheiße hier. Es ist einsam, es ist kalt. Auch einem Soldaten gefällt das nicht.“ Am FOP 31 wird sie wohl nicht beginnen, die Attraktivitätsoffensive der Bundeswehr.

300 Meter sind es von hier bis zum Grenzübergang nach Serbien, weswegen die deutschen Soldaten als Nachhut am Wegesrand lagern, sollte es für die junge Staatsmacht und ihren großen Bruder, die NATO, doch noch einmal brenzlig werden. Die Grenzpolizeien beider Länder, die kosovarische Polizei und die Beamten der EU-Rechtsstaatsmission Eulex versuchen dort in einvernehmlichem Misstrauen untereinander den Grenzverkehr zu kontrollieren und dabei Korruption und organisierter Kriminalität Herr zu werden.

Der Job der deutschen Einsatzkompanie im Nordkosovo beschränkt sich dabei auf militärische Aufklärung und kalte Sicherheitspräsenz. Im Idealfall sind sie unsichtbare Ordnungshüter. Die Soldaten gucken tüchtig auf Landkarten und in die Landschaft. Sie zählen Autos, um Schmuggler-Routen im Norden des Landes nachvollziehen zu können, stapfen Patrouille und lassen ihre Aufklärungsdrohne oder den Quadrocopter über den Stausee kreisen. Kinder würden nicht anders Krieg spielen.

Copyright: Christoph DornerDie deutschen Soldaten im Camp Cabra haben ein rosafarbenes Hüpfpferd als Maskottchen für ihre Mission auserkoren (Foto: Christoph Dorner)
Copyright: Christoph DornerKletterausflug der Sanitätskompanie in der Drini-Schlucht. Dass die Bergung im Notfall wohl nicht klappen würde, macht nichts (Foto: Christoph Dorner)

Ein pausbäckiger Sachse mit Brille und gemütlichem Auftreten ist in seiner Einsatzbeschreibung ganz unverblümt. Während er sein grünes Feldbett in einem Wohncontainer vom Inhalt seines Rucksacks freischaufelt, sagt er, ein Tag im FOP 31 bestehe im Grunde aus drei Dingen: „Warten, essen, schlafen“. Gut, mit seinem Laptop könne er hier zum Glück auch noch Filme schauen, schiebt er nach und grinst verlegen. Es ist eine Geduldsprobe.

Bei einer Übung tun die Soldaten ein bisschen so, als wollten sie sich verhauen

Seit 15 Jahren ist die Bundeswehr mittlerweile im Kosovo. Als die deutschen Soldaten 1999 kamen, waren sie für die albanische Bevölkerung die Befreier. Als 2004 serbische Häuser brannten, waren sie für Politiker die Zauderer der KFOR. Als sie 2011 im Nordkosovo über Monate hinweg gewaltsam serbische Straßenblockaden räumen mussten, waren sie für Fernsehzuschauer zum letzten Mal in den Nachrichten zu sehen. Eigentlich eine gute Nachricht.  

Trockenübungen gegen Straßenblockaden, die „Crowd and Riot Control“, macht die Bundeswehr immer noch. Sie stellt dann zur Visualisierung Spielfiguren aus Plastik in den Sand und lässt einen ukrainischen Räumungspanzer vorfahren. Die Demonstranten sind amerikanische und dänische Soldaten, muskulöse Laiendarsteller mit schwarzen Sonnenbrillen.

Man tut dann ein bisschen so, als wolle man sich verhauen, was auf den Fotos sehr nach Kinderspiel aussieht. Hinterher verkündet der Hauptmann, dass sich die Einsatzkompanie bewährt hat, wieder einmal. So jubelt es einem aus den Pressemeldungen der Bundeswehr unentwegt entgegen. Sie belegen, dass die Truppe fleißig übt. Also alles bestens im Kosovo?

Fahrzeugtyp macht Selbstwertgefühl

Für die deutschen Soldaten ist es durch die Befriedung des Landes nicht unbedingt einfacher geworden. Sie sind in ihrem Auslandseinsatz, der in der Regel vier bis sechs Monate dauert, auf der Suche nach der richtigen Körperspannung für den Alltag. Ein Oberstabsgefreiter aus Brandenburg sagt rundheraus: „Ich wäre lieber wieder nach Afghanistan gegangen. Der Einsatz hier hat mit meinem Beruf nicht viel zu tun.“


1999 – 2014: Der Einsatz der Bundeswehr im Kosovo

Am 13. Juni 1999 tritt für die Bundeswehr im Kosovo der Ernstfall ein: Erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs schießt ein deutscher Soldat in einem Kampfeinsatz auf Menschen. In der Nacht zuvor sind 1000 deutsche NATO-Soldaten in Prizren eingezogen. Die albanische Bevölkerung empfängt sie am Straßenrand wie eine Befreiungsarmee. Die einstigen serbischen Machthaber stehen verunsichert am Ortsrand ...

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In Kunduz hatte der 29-Jährige den Dingo II gefahren. Im Feldlager in Prizren steht das gepanzerte Kampffahrzeug nur in der Garage. Stattdessen fährt der Oberstabsgefreite den Journalisten im Geländewagen Wolf durch das zweitägige Programm. Fahrzeugtyp macht Selbstwertgefühl, so ist das manchmal bei der Bundeswehr. „Irgendwas ist immer zu tun“, sagt der Oberstabsgefreite und zuckt mit den Schultern.

Was macht die Bundeswehr eigentlich noch im Kosovo? Erholungsurlaub von der Familie und dem Kasernenleben in der deutschen Provinz? Eine Weiterbildungsmission bei 63 Euro Auslandsverwendungszulage pro Tag? Der Pressestabsoffizier, ein topseriöser Major mit trockenem Humor jenseits des Protokolls, gibt sich redliche Mühe, den selbstverständlich naiven Eindruck zu zerstreuen, die Präsenz der Bundeswehr im Kosovo sei sinnlos. Er kann das Wesentliche zum KFOR-Mandat auch gut erklären, er ist Politikwissenschaftler.

Weil man als Zivildienstleistender, der bislang nur eine Banane als Waffe benutzt hat, nicht so genau weiß, was man dann überhaupt noch von der Bundeswehr im Kosovo wissen will, möchte wenigstens der Major etwas. Nämlich, dass man junge, karrierebewusste Soldaten trifft, die über Verantwortung und Entwicklungsperspektiven sprechen können, ohne dabei gleich derb zu werden. Ein Führungspersonal, wie es sich Ursula von der Leyen für die Zukunft bestimmt vorstellt. 

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Tom Koenigs im Interview:
„Gemeinsam rein, gemeinsam raus“

Der Grünen-Abgeordnete Tom Koenigs über den Kosovo-Sonderparteitag der Grünen, die Perspektive des Landes und die Bedeutung des KFOR-Einsatzes der Bundeswehr.

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Also begleitet man den drahtigen Kompaniechef im Geländewagen durch den Nordkosovo. Man fährt mit ihm ins Camp Cabra und zu FOP 31, während Ramstein mit „Links, zwei, drei, vier“ aus dem Autoradio marschieren. Immerhin erfährt man dabei, dass es den Kompaniechef stolz macht, dass die Deutschen innerhalb der KFOR-Mission wegen ihrer Gründlichkeit als Streber verschrien sind.

Anderntags trifft man eine 32-jährige, blonde und sehr taffe Oberstabsärztin aus Hessen, die im Gegensatz zu einem Mann aus ihrer Sanitätskompanie bei einer Abseilübung in der Drini-Schlucht keinen ängstlichen Rückzieher macht, die aber nachts nicht schlafen kann, nachdem sie Kollegen erstmals in einen Außeneinsatz schickt. Dass die Bergung von Verletzten bei den meisten Sanitätern im Notfall nicht klappen würde, macht nichts.

Mit dabei ist ein ausnehmend vaterlandsliebender Oberstabsarzt und Fallschirmjäger, der im zivilen Krankenhaus in Prizren für den Erhalt seiner Fingerfertigkeit an einem Tag drei Kinder per Kaiserschnitt auf die Welt bringt, weil es im quasi originalverpackten Einsatzlazarett nullkommanull Patienten gibt. Der dortige Rundgang ist dann auch besonders langweilig.  

Frau Hauptmann hat sich gegen den Dienst und für eine Familie entschieden

Und dann ist da noch eine grundfröhliche Frau Hauptmann, die durch den Gerätepool im Feldlager in Prizren führt, der eine Mischung aus Baumarkt, Gebrauchtwagenhandel und Museum ist. Vom gepanzerten Dingo II über das Sturmgewehr G36, vom Sprengstoff über Schlagstöcke und Panzerkekse, von Tarnnetzen und Kabeltrommeln – all das Material wird von Soldaten mit „AbKüFi“, dem heiligen Abkürzungsfimmel der Bundeswehr, und unterschiedlichen deutschen Dialekten aufgesagt, was ein ziemlich komisches Freiluft-Theater ist.

Frau Hauptmann L. führt mit schlagkräftigen Argumenten durch den Gerätepool im Feldlager in Prizren – was aber sucht der Weihnachtsmann hier? (Foto: Uli Reinhardt)

Fazit: Alles im Schuss. Nur gebraucht werden all die Sachen derzeit nicht. Frau Hauptmann, eine 31-jährige Zeitsoldatin aus Nordrhein-Westfalen, ist aus anderen Grund viel interessanter. Denn sie hat sich letztlich gegen ihren Arbeitgeber entschieden. In zwei Jahren werde sie die Truppe verlassen und eine Familie gründen, erzählt sie. Damit erinnert sie an das ehrgeizige Ziel, das sich Ursula von der Leyen als Verteidigungsministerin gesetzt hat: die Vereinbarkeit von Dienst und Familie zu verbessern.

Während dieses militärischen Sightseeings kommt die Bundeswehr in ihrer ostentativen Selbstbeschäftigung eigentlich wie ein ziemlich sympathischer Arbeitgeber herüber. So normal. Das Soldatische, das Gefährliche eines Auslandseinsatzes wie in Afghanistan fehlt. Es ist eine Mission im Konjunktiv. Üben, Organisieren, Instandhalten: für den militärischen Ernstfall, bei dem hunderte Soldaten und tonnenweise Gerätschaften schnell bewegt werden müssten. „Wenn etwas passieren würde, dann wären wir ...“ – so beginnen viele, sehr redliche Sätze der Soldaten.

Vielleicht trösten sich die Soldaten damit, dass der eigene Stillstand einen gewaltigen Fortschritt für die Menschen im Kosovo bedeutet. Also wartet sie – auch auf Ursula von der Leyen. Als die Verteidigungsministerin Ende April in den Kosovo fliegen soll, kommt ihr die Entführung deutscher OSZE-Militärbeobachter im Osten der Ukraine dazwischen. Zwei Wochen später ist sie dann da, singt ein Geburtstagsständchen, posiert für Selfies mit den Soldaten. Und wünscht ihnen, was sie im Kosovo mit Sicherheit noch eine Weile am meisten brauchen: Geduld.


Bei Kaffee ist Christoph Dorner eigentlich nicht wählerisch. Die Zubereitungsart zweier deutscher Soldaten hat ihn doch irritiert. Sie kippten ein Päckchen löslichen Instant-Kaffees in 0,5-Liter-Wasserflaschen und legten diese auf die Lüftungsschlitze im Geländewagen Wolf. Dorner hat lieber später im Hotel einen Kaffee getrunken.