TV-Moderatorin Jeta Xharra

Die Unbequeme

Eigentlich dürfte es jemanden wie Jeta Xharra im kosovarischen Fernsehen gar nicht geben: weiblich, jung, einflussreich, unabhängig und ohne Respekt vor verkrusteten Machtstrukturen. Trotzdem ist die 36-Jährige eine der beliebtesten Moderatorinnen des Landes. Und eine der gehasstesten. Von Konstanze Faßbinder

Morddrohungen. Gegen sie. Im Fernsehen. „Live vorgelesen auf drei Sendern!“ Jeta Xharra schüttelt fassungslos den Kopf.

Es war Anfang Juni 2009, als die regierungsnahe Boulevardzeitung „Infopress“Hetzartikel veröffentlichte. Xharra verkürze ihr Leben mit ihrer Arbeit, stand in dem einen, der in den Fernsehnachrichten verlesen wurde. Xharra wird immer noch ganz leise, wenn sie davon spricht. Und Xharra wird selten leise.

„Mirëdita, na vjen keq“, guten Tag, entschuldigen Sie, ruft Xharra einem Mann auf dem Bürgersteig zu, „wo geht’s zu TV Dukagjini?“ Bei dem Lokalsender in Peja, 80 Kilometer westlich von Pristina, ist sie als Interviewpartnerin eingeladen.

Copyright: Konstanze FaßbinderRoutinierte Konzentration: Xharra kurz vor einer Aufnahme in der BIRN-Redaktion (Foto: Konstanze Faßbinder)
Copyright: Konstanze FaßbinderSeit neun Jahren kämpfen Xharra und ihr Team für ein besseres Leben im Kosovo. Vor und auch abseits der Kamera (Foto: Konstanze Faßbinder)
Copyright: Konstanze FaßbinderFeinarbeit: Mit ihrem Produzenten feilt Xharra an einem Beitrag (Foto: Konstanze Faßbinder)

Der Mann hält inne, kommt näher, stutzt. Dann zieht er den Mund zu einem Grinsen, das seine verbliebenen Zahnstumpen präsentiert. „Jeta Xharra“, ruft er, schüttelt kurz ungläubig den Kopf, „Kosovo Legend!“. Er beugt sich ins offene Fenster von Xharras Peugeot-Familienvan und hält mit einer schwungvollen Armbewegung den nach oben gestreckten Daumen vors Gesicht. Gerne hätte er ein Foto von Xharra gemacht, sagt er und drückt, klick, auf einen imaginären Auslöser. Aber leider: Handy vergessen. „Faleminderit“, vielen Dank, ruft Xharra zum Abschied und gibt Gas.

Jeta Xharra, 36 Jahre alt, gilt als eine der einflussreichsten Frauen des Kosovos. Dabei hat sie weder besonders viel Geld, noch ist sie in der Politik. Jeta Xharra ist investigative Journalistin.

Ihr Name ist Programm

Seit neun Jahren moderiert sie das Polit-Magazin „Jeta në Kosovë“. Xharra konfrontiert darin Bürgermeister mit Wahlversprechen, die nie eingehalten wurden. Sie spricht über gesellschaftliche Tabus wie Gewalt gegen Frauen oder die mutmaßliche Misshandlung von Zivilisten durch die UÇK, die albanischen Paramilitärs, die für die Unabhängigkeit des Kosovos kämpften. Vor laufender Kamera hielt sie Politikern deren unbezahlte Stromrechnung in Höhe von Tausenden Euro unter die Nase. Derart bloßgestellt zu werden, waren die Mächtigen nicht gewöhnt. Den Zuschauern gefiel es. „Sie waren hungrig nach einer Show, die die regierende Klasse herausfordert“, sagt Xharra.

Braune Haare bis zum Kinn, blasser Teint, eher klein – man kann Xharra auf der Straße leicht übersehen. Überhören kann man sie nicht. Wenn sie spricht, hört es sich an, als würde sie ein Regiment befehligen; telefoniert sie, wird der Wortsinn von „jemanden an-rufen“ klar. Viele ihrer Sätze beginnen mit einem ungenierten „Hey!“.

Xharra ist nicht nur Moderatorin, sondern auch Chefredakteurin und Namensgeberin der Sendung „Jeta në Kosovë“. Ihr Titel ist ein Wortspiel – auf Albanisch heißt Jeta „Leben“ – und bedeutet „Leben im Kosovo“.

„Mein Gott, ich brauche unbedingt etwas Süßes“, stöhnt Xharra, während sie schwungvoll auf den Parkplatz von TV Dukagjini einbiegt. Sie stellt den Motor ab, wirft sich ihre schwarze Kunstleder-Schultasche mit den kleinen bunten Comic-Eulen über die Schulter, schlägt die Fahrertür zu und hetzt ums Eck. Keine Minute später taucht sie wieder auf mit einer Tafel Schokolade in der Hand. Manchmal kann eine Tafel Haselnussschokolade über den Tag retten, der schon am frühen Nachmittag lang war. Xharras Tage sind meistens lang.

Schmuck gegen Mails

Ende der Neunziger studierte sie, großer Film-Fan, Dramaturgie an der Hochschule der Künste in Pristina, wo sie aufgewachsen und zur Schule gegangen war. Es war das Jahrzehnt, in dem sich die Albaner des Kosovos, unter Milošević von der serbischen Minderheit unterdrückt, in einem Schattenstaat organisierten.

Als wenige Kilometer von Pristina entfernt Häuser brannten und Menschen flüchteten, konnte Xharra nicht mehr herumsitzen und lernen. Sie begann 1998 für den britischen Sender BBC zu übersetzen und Kontakte zu UÇK-Kämpfern herzustellen. Ihre Mutter, die nicht mehr arbeiten durfte, hatte ihren Hochzeitsschmuck verkauft, damit Xharra sich einen Computer kaufen und Mails schreiben konnte. Mit 21 Jahren übernahm sie die Leitung des BBC-Büros im Kosovo.

Copyright: Konstanze Faßbinder
BIRN Kosovo

Das Balkan Investigative Reporting Network BIRN Kosovo ist eine unabhängige Medienorganisation mit Sitz in Pristina. Sie betreibt investigative Recherchen und analytische Berichterstattung zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Themen, die in verschiedenen Medien erscheinen. BIRN produziert sie selbst. Zudem bildet die Organisation Journalisten und Produzenten aus und bietet gezielte Medientrainings zum Beispiel für Frauen an.

Neben der TV-Sendung „Jeta në Kosovë“, die wöchentlich erscheint, produziert BIRN Drejtësia në Kosovë, „Justiz im Kosovo“, in der von landesweiten Gerichts- und Polizeifällen berichtet wird. Zweimal im Monat gibt die Organisation die englischsprachige Print-Zeitung „Prishtina Insight“ heraus und veröffentlicht Artikel auf der länderübergreifenden, ebenfalls englischsprachigen Website „Balkan Insight“. Zu den Kommunal- und Parlamentswahlen organisiert BIRN Debatten mit den Kandidaten und bildet Journalisten zu Wahlhelfern aus. Die Organisation überwacht außerdem Gerichte und öffentliche Einrichtungen wie Gemeinden und das Gesundheits- und Bildungssystem.

BIRN wurde 2005 von drei Personen gegründet. Inzwischen hat die Organisation 70 Mitarbeiter. Sie finanziert sich durch lokale und internationale Institutionen wie die Europäische Kommission, die Austrian Development Agency (ADA) oder Nichtregierungsorganisationen wie Free Press Unlimited aus den Niederlanden.

BIRN Kosovo ist Teil des länderübergreifenden Netzwerks BIRN, das auch Büros in Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Serbien betreibt. Insgesamt ist die Organisation in neun Balkan-Ländern präsent.

Nach dem Krieg erlebte Xharra, wie die Kämpfer der UÇK die Waffen niederlegten und Politiker wurden. Jetzt müsste sie als Journalistin nur noch die Politiker dazu bringen, ihren Bürgern gegenüber Rechenschaft abzulegen. Alles würde einfacher werden, dachte sie. Sie sollte sich täuschen.

Der Journalist als Wachhund

Xharra ging nach London, studierte War Studies am renommierten Kings College London. Und arbeitete weiter journalistisch, im Planungsstab für Auswärtige Nachrichten des BBC World Service. 2002 machte sie ihren zweiten Master of Arts, diesmal in Screenwriting. Sie bestand ihn mit Auszeichnung. Dann ging sie zurück in die Heimat. „Hier konnte ich das Leben der Leute verändern.“

Für ihr Magazin, mit dem sie 2005 auf Sendung ging, nahm sie sich BBC-Moderatoren zum Vorbild, die aggressive Fragen stellten. Der Journalist als scharfer Wachhund der Demokratie – das war ziemlich genau das Gegenteil zum Journalismus im Kosovo, der lange Zeit nur der jugoslawischen Staatspropaganda gedient hatte. „Meine Sendung war ein echter Schock.“  

In Peja soll Xharra heute mit dem Moderator über die Stimmung vor den Parlamentswahlen diskutieren. Sie ist inzwischen eine gefragte Gesprächspartnerin. Unterhaltsam ist sie noch dazu: Wenn sie will, kann sie poltern wie ein Stammtischbruder. Und genauso hemmungslos lachen.

Nichts zu verlieren

Gegenüber manchen Gästen bei „Jeta në Kosovë“ ist Xharra aber vor allem eines: unerbittlich. Denn den Politikern im Kosovo, sagt Xharra, geht es nicht um das Gemeinwohl, den Dienst an der Gesellschaft oder um Gerechtigkeit. „Politik im Kosovo ist ein Mittel zur Bereicherung und von Männern besetzt.“ Das will sie ihren Zuschauern zeigen. Damit es sich ändert.

Die kleine Garderobe von TV Dukagjini ist ein Raum mit ein paar folienbeklebten Press-Span-Möbeln und einem Spiegel. Xharra macht sich dort vor ihrem Auftritt kurz zurecht. Sie ordnet ihr Haar, zieht den Lippenstift nach, er passt farblich – altrosa – zu ihrem gesetzten Outfit: grauer Woll-Blazer, Perlenbrosche und Föhn-Bob. Zu Beginn ihrer Moderatoren-Karriere hatte sie sich fürs Fernsehen absichtlich älter gemacht. Um seriöser zu wirken und weniger Angriffsfläche zu bieten.

Dass eine Frau vor laufender Kamera die Mächtigen zur Rede stellt, keine Angst vor ihrer Macht hat, kannten sie nicht, sagt Xharra. Jüngere sollten den Älteren Respekt zollen. Und sie schon gar nicht angreifen. Darauf wollte sie keine Rücksicht nehmen: „Tatsache ist: 50 Prozent der Einwohner im Kosovo sind unter 30.“ 

Audi statt Traktor?

Bei den Kommunalwahlen Ende 2013 baten Xharra und ihr Team nicht die Bürgermeisterkandidaten selbst, sich den Wählern vorzustellen, sondern ihre Frauen, Freundinnen, Mütter. Denn fast alle Kandidaten waren männlich, „mehr als die Hälfte der Wähler aber weiblich. Frauen waren bei den Wahldebatten kaum repräsentiert!“

Pressefreiheit im Kosovo

Der Kosovo steht gleichzeitig für den Erfolg und das Scheitern einer von außen geplanten Medienlandschaft: Die kosovarische Verfassung garantiert Medienpluralität und die Freiheit der Presse. Sie entspricht darin europäischen Standards. Es gibt einen Presserat und eine unabhängige Medienkommission. Dennoch und trotz der vielen internationalen Organisationen sieht die Praxis anders aus... MEHR >

Wie verhalten sich die Männer zu Hause? Bringt der Ehemann den Müll runter? Welches Auto fuhren sie vor 20 Jahren? Welches Auto fahren sie heute? Solche Fragen an ihre besseren Hälften ermöglichten nicht nur persönliche Einblicke ins Leben der Politiker und weckten das Interesse der weiblichen Wähler. Sie zeigten auch, wie sich der Status mancher Männer geändert hatte, sagt Xharra. „Wenn einer vor dem Krieg einen Traktor fuhr und heute einen Audi, fragt das Publikum natürlich: Wie hat er das gemacht?“ 1000 Euro verdiene ein Bürgermeister im Kosovo.

Im Studio von TV Dukagjini sitzt Xharra am langen Pult schräg gegenüber dem Moderator. Routiniert beantwortet sie eine dreiviertel Stunde lang seine Fragen für die Kamera. Dann bekommt sie einen Hustenanfall. Die Aufnahmen werden beendet, das Scheinwerferlicht geht aus. Genug für heute.

Von der Late Night zur Prime Time

Viele Zuschauer hielten ihren direkten, konfrontativen Moderationsstil für arrogant, zu laut, zu derb, sagt Xharra. Doch schon nach einem Jahr war „Jeta në Kosovë“ die zweitbeliebteste Sendung des Landes, trotz der schlechten Sendezeit, donnerstags um kurz vor Mitternacht.

Ein Jahr hatten sie und ihr Team Spenden gesammelt, um die erste Sendung zu produzieren. Nur weil er nichts zahlen musste, hatte der staatliche Sender RTK überhaupt einen Sendeplatz freigeräumt, „die dachten, meine Sendung sieht sowieso niemand“. Mit ihrem Erfolg jedoch rückte „Jeta në Kosovë“ zur Prime Time auf. Inzwischen läuft sie wöchentlich statt zweimal im Monat. Nur ihre finanzielle Unabhängigkeit und ihre Öffentlichkeit schützte die Sendung davor, abgesetzt zu werden.

Nach der Aufzeichnung fährt Xharra zurück nach Pristina, 80 Kilometer – noch einmal eineinhalb Stunden Fahrt. Sie wirkt geschafft, stopft sich hastig Chips in den Mund.

Normalerweise wird „Jeta në Kosovë“ im kleinen Studio nebenan gedreht. Heute muss die Redaktion herhalten (Foto: Konstanze Faßbinder)

Vor 19 Uhr ist sie heute nicht zu Hause. Dort warten ihre kleinen Töchter Elisa, drei Jahre alt, und Hanna, ein Jahr alt. Xharra wird dann schnell ihre Aktentasche abstellen, die die Mädchen so gerne mögen, weil darauf die gleichen Eulen wie auf ihrer Kuscheldecke sind. Sie wird den beiden vielleicht noch eine Geschichte vorlesen, sie dann ins Bett bringen. Viel mehr wird heute nicht mehr drin sein. 

Sich engagieren statt berichten

Xharra moderiert nicht nur, sondern leitet auch das Balkan Investigative Reporting Network (BIRN Kosovo), eine unabhängige Medienorganisation, die sie 2005 mitbegründete. BIRN Kosovo produziert „Jeta në Kosovë“ und berichtet auf verschiedenen Kanälen über aktuelle Themen. „Anfangs waren wir zu dritt. Heute sind wir 70“, sagt Xharra nicht ohne Stolz. 

Mit ihrem Journalismus will sie über die bloße Berichterstattung hinausgehen. Sie will sich engagieren. Wenn sie es für nötig hält, macht sie sich auch mit einer Sache gemein. So wie mit dem Kampf gegen das neue Kohlekraftwerk, das die Weltbank im Kosovo bauen will. Vehement setzt Xharra sich dagegen ein. Es würde die ohnehin schlechte Luft in Pristina und Umgebung auf Jahrzehnte noch mehr verpesten.

Jeta Xharra Viel erreicht – und noch einiges vor: Xharra am Eingang von BIRN (Foto: Konstanze Faßbinder) Jeta Xharra über das größte Kompliment, das sie für ihre Arbeit bekam
Jeta Xharra über ihren größten beruflichen Erfolg
Jeta Xharra über ihre Zukunftspläne

Kritiker werfen ihr deshalb vor, sie sei mehr Aktivistin als Journalistin. Ein guter Journalist, hält Xharra dagegen, berichte nicht nur, was heute passiert, sondern kämpfe auch für ein besseres Morgen.

Mit ihrer Arbeit will Xharra die Zivilgesellschaft stärken. Dass das auch gefährlich sein kann, musste sie 2009 erfahren. Über mehrere Tage fuhr die regierungsnahe Zeitung „Infopress“ eine Hetzkampagne gegen sie: Sie und ihr Team wurden als serbische Spione und Verräter beschimpft. Zuvor hatte Xharra in ihrer Sendung unter anderem berichtet, wie die Regierung die Medien mittels Werbeeinschaltungen beeinflusse und sich kritischer Journalisten entledige. Die Sendung solle abgesetzt werden, forderte die Zeitung.

Ein Staatsanwalt, sagt Xharra, habe ihr sogar gestanden, nichts zu unternehmen – aus Angst, selbst Opfer von Vergeltungsmaßnahmen zu werden. Doch über 50 lokale und internationale NGOs hätten sie in Schutz genommen. Erst als die internationale Gemeinschaft Druck auf die Regierung ausübte, wurde die Kampagne gestoppt. 

„Wenn mir jemand wirklich schaden will, kann er das letztlich auch“, sagt Xharra. Sie machte trotzdem weiter. Sie will das Leben im Kosovo besser machen. Aber jetzt will sie erst einmal nach Hause, zu Emilia und Hanna.


Konstanze Faßbinder fuhr einmal in Jeta Xharras Auto mit. Prompt verlor sie dort ihr Aufnahmegerät. Damit sie es zurückholen konnte, drückte Xharra ihr am nächsten Tag ihren riesigen Schlüsselbund in die Hand. Die Autorin fragt sich nun, was überwiegt: ihre Schusseligkeit, ihre harmlose Wirkung oder das Gottvertrauen der Moderatorin.


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